ullr hat geschrieben:
Aber vor drei Jahren ist da für mich eine Welt zusammengebrochen. Seitdem gibt es für mich nur noch Religioten, und mir ist es grad scheißegal, ob ich andere damit verletze oder nicht. Egal, ob Christen, Muslime oder Juden, alles die gleich Mischpoke. Da sind nur graduelle Unterschiede, ob aus religiösen Gründen ein Arzt getötet, ein Kind verstümmelt oder ein "Ungläubiger" geschächtet wird.
Aber ich bin mir sicher, die Zeit wird es richten. So oder so...
ullr
Ja, es war nicht zu übersehen! Du bist ja seitdem auch nicht leise gewesen! Ich hoffe, du gestattest mir trotzdem einen Einspruch.
ich sehe einen Unterschied zwischen der Tötung eines Menschen und der Beschneidung eines Knaben (mir wäre das in meiner Kindheit fast auch passiert, aus medizinischen Gründen). Ich erinnere mich noch gut, daß bis vor einigen Jahren immer mal wieder das Thema aufkam, wie "gesund" und "vernünftig" die Beschneidung von Jungen sei. Empfehlungen dieser Art kamen meines Wissens sogar von den UN.
Erst das Gerichtsurteil aus Köln hat dann in Deutschland diese Diskussion angestoßen, die aufgrund der speziellen deutschen Geschichte sofort solche Wellen schlug, und von da ab an einer rationalen Debatte kaum noch zugänglich war.
Seitdem haben sich immer mehr medizinische Fachleute zu Wort gemeldet und damit das Unbehagen bestätigt, daß ich aus persönlichen Gründen seit meiner frühen Jugend habe, nur bis vor kurzem nicht mit Fakten belegen konnte und im Gegenteil in schwachen Augenblicken für eine meiner irrationalen Ängste hielt. So ändern sich die Zeiten!

Offenbar im Gegensatz zu dir bin ich nicht der Ansicht, daß man das Problem mit dem Gesetzbuch lösen kann. Menschen sind zu weiten Strecken irrationale Wesen, und ändern eine Einstellung, die auch auch vom Rest der Welt bis vor wenigen Jahren für eine gute Sache gehalten wurde, nicht von heute auf morgen.
Verrückterweise gab schon einmal in Deutschland ein starke Bewegung gegen die Knabenbeschneidung, am Beginn des 20. Jh. unter den Reformjuden. Diese Bewegung ist allerdings, wie so vieles andere, gute dem Nazi-Terror zum Opfer gefallen. Übrig blieben die Orthodoxen, die heute auch unter den deutschen Juden die Mehrheit stellen, und aus der Nazizeit nicht ganz unverständlich den Schluß gezogen haben, jede Art von Anpassung sei von Übel. Ratschläge von deutscher, nichtjüdischer Seite kommen da nicht gut an. Das mag man nicht mögen, aber es ist so.
Die Knabenbeschneidung, wie Beschneidungen überhaupt, ist eine inhumane Praxis, darin stimmen wir sicher überein. Aber für mich ist das im Bezug auf die Knabenbeschneidung eine ziemlich neue Erkenntnis, und das geht den meisten Menschen wohl nicht anders. Ich habe sie gern zur Kenntnis genommen, aber mir stand auch keine gefühlsbeladene Tradition im Wege.
Der "Homo Sapiens", die Menschen, verwenden das bißchen Vernunft, das sie besitzen (und meistens auch noch überschätzen) nur, wenn nichts anderes dagegenspricht oder es sich wirklich nicht vermeiden läßt. Ich mache da keine Ausnahme, weshalb mein Wahlspruch lautet: Wir sollten unseren Gefühlen nicht erlauben, unser Denken zu beherrschen. "Sollten!" Konjunktiv!

Ich denke, daß eine Tradition, die 2000 Jahre alt ist, und wie gesagt bis vor kurzem kaum kritisiert wurde, nicht von heute auf morgen verschwindet und wenn dann nur von innen, nicht von außen. Ich denke, die Mehrheitsgesellschaft (in diesem Fall ist es eine klare Mehrheit) sollte die Tatsachen publizieren, damit durchaus auch ein bißchen nerven (wenn man den Eindruck hat, daß das hilft, sonst nicht), und denen, die sich aus bisherigen Traditionen auch auf diesem Gebiet lösen wollen, Unterstützung gewähren (bisher unterstützt unsere Politik ja wesentlich die Konservativen). Mehr können wir, denke ich, nicht tun.
Und vor allem sich nicht aufregen über etwas, was man nicht ändern kann. Ich weiß., leichter gesagt als getan.

P.S.: Noch ein Wahlspruch, diesmal aus meiner Zeit als Lehrer: "Wer lächelt, statt zu toben, ist immer der Stärkere." Vielleicht nicht auf kurze Sicht, aber auf Dauer.
